Logistikwissen 06.08.2020
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Corona als Chance – Neue Konzepte für den LKW-Verkehr

Gastbeitrag von Jochen Eschborn, Vorstandsvorsitzender der ELVIS AG

Ein Bild von Jochen Eschborn.

Noch nie war die Transportbranche für üppige Margen bekannt. Doch mit Beginn der Corona-Krise gab die Nachfrage nach Laderaum drastisch nach und das resultierende Überangebot an Frachtkapazitäten führte teilweise zu Spotmarktpreisen weit unter den Selbstkosten.

Sofort wurde der Ruf nach einer Reglementierung laut, um gegen Dumpingangebote vorzugehen. Aber die Wahrheit ist: Die Corona-Krise legt die Schwächen des deutschen LKW-Transportsektors schonungslos offen. Dies betrifft nicht nur den Digitalisierungsgrad vieler Unternehmer, sondern auch die Art und Weise, wie der LKW-Transport in Deutschland organisiert ist.

Mit den ersten Lockdown-Verordnungen kam plötzlich viel Bewegung in so manches Büro. Während die Mitarbeiter reihenweise ins Homeoffice geschickt wurden, begann das große Rätselraten, wie diese Veränderungen technisch aufgefangen werden können. Kann die Disposition auch von Zuhause arbeiten? Was ist die richtige Software für Web-Meetings? Warum funktioniert mein Mikrofon nicht?

Während diese technischen Herausforderungen zwangsweise gelöst werden mussten (und in den meisten Fällen auch gelöst wurden), wurden die Auswirkungen auf das Transportwesen selbst weit weniger intensiv beleuchtet. Zwar ist niemandem entgangen, dass die Rückladungen knapp geworden sind und dass die Preise im Spotmarkt in den Keller gerauscht sind. Antworten auf diese Herausforderung sind jedoch bislang rar. Es lohnt sich daher ein genauerer Blick auf die Art und Weise, wie LKW-Transporte hierzulande organisiert sind.

Die LKW-Transportbranche in Europa wird dominiert von sogenannten „Selbstproduzenten“. Das heißt, dass (Teil-)Ladungen in einem festen Verbund von Zugmaschine, Trailer und Fahrer über mehrere hundert oder gar tausend Kilometer von A nach B transportiert werden.

Mit dieser veralteten Produktionsmethode werden ständig Kapazitäten in unbekannte oder rückladungsschwache Regionen verschoben und die LKW kommen dort nur mit Preisen unter dem Selbst-Kostenniveau wieder weg.

Gleichzeitig wird ignoriert, dass die Lenkzeitrestriktionen den Fahrer zur Pause zwingen und dass damit die Wirtschaftlichkeit von Trailer und LKW Tag für Tag auf ein Minimum reduziert ist. Wie soll mit diesem System dauerhaft Geld verdient werden? Selbst der niedrigste Fahrerlohn in Osteuropa kann hier nur kurz Wirtschaftlichkeit vortäuschen.

Die Amerikaner machen es uns seit Jahren erfolgreich vor. Dort gehören IT-gestützte Begegnungsverkehre, Hub-Konzepte und Umsattelverkehre wie selbstverständlich zur täglichen Abwicklung.

Dieser, seit Jahren längst überfällige, Systemwechsel, hat interessanterweise überhaupt nichts mit der Flottengröße zu tun. Er bringt jedem Frachtführer Vorteile, unabhängig davon, ob er eine Flotte von 50 oder 5.000 LKW betreibt.

Wie schwer sich der europäische Transportmarkt mit diesem dringend notwendigen Wechsel tut, erleben wir bei ELVIS seit langer Zeit. Obwohl wir seit Jahren das Teilladungssystem erfolgreich betreiben, gestalten sich die Bemühungen, Systemverkehre jenseits des bestehenden Musters zu etablieren, äußerst zäh.

Gerade für den deutschen, extrem kleinteiligen und meist kooperationserfahrenen Mittelstand liegt in Systemverkehren eine gigantische Chance, sich gegen Großflottenbetreiber erfolgreich zur Wehr zu setzen. Leider lässt oft die Sorge um den Verbleib des eigenen Trailers solche neuen Konzepte bereits im Keim ersticken.

In Zeiten der Krise ergeben sich stets neue Möglichkeiten. Altbewährtes wird hinterfragt. Bestehende Muster werden zur Disposition gestellt. Die zunehmende Digitalisierung gibt uns neue Mittel an die Hand, den LKW-Transport anders zu organisieren. Mangelnde Wirtschaftlichkeit und die immensen Herausforderungen des Klimawandels bieten uns die besten Gründe, die neuen Mittel auch zu nutzen.

Die Art und Weise, wie LKW-Transporte in Deutschland und Europa organisiert sind, hat ein gigantisches Potenzial zur Effizienzsteigerung. Höhere Margen und bessere Arbeitsbedingungen für LKW-Fahrer… Wer würde freiwillig darauf verzichten? Vielleicht war eine Krise nötig, um uns das zu zeigen.

Autor

Jochen Eschborn ist Gründer und Vorstand des Europäischen Ladungs-Verbunds Internationaler Spediteure kurz: ELVIS. Vor 45 Jahren in den LKW-Transportsektor eingestiegen, führte ihn sein beruflicher Weg im Laufe der Jahre nach Russland, in den Nahen Osten und wieder zurück. 10.000 km, die er heute lieber in 20 Tagen mit dem Motorrad fährt.

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